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GOLDEN : SPIKE

Ausschnitt aus dem Heft für zeitgenössische Literatur
perspektive 112 -113 (Anna Staffel S. 68 – 71)

AS B 33
Seltsame Materie

Der ultimativste, schrecklichste Ort im Weltall
kann ein zahmes oder ungestümes Ereignis sein
Beispielsweise ist „Beteigeuze“ ein Super Roter Riese
Er wird bald zur Supernova
Wenn die „Hand der Riesin“ am Ende ihrer Entwicklung ist’
übernehmen die Gravitationskräfte ihre Gestaltung
Bald wird sie im gewaltigen Feuerwerk zur Supernova
und diese Druckwelle wird die Atmosphäre der Erde wegreißen
denn das Weltall ist unberechenbar

Der ultimativste, schrecklichste Ort im Weltall
kann ein zahmes oder ungestümes Ereignis sein
Beispielsweise sind die Neutronensterne reine Vampire
Bei der Kollision von Neutronensternen ist die Energie extrem hoch
Es werden Millionen Wasserstoffbomben durch Gravitation erzeugt
und nichts kann sich einem Neutronenstern unbeschadet nähern
denn das Weltall ist unberechenbar

Der ultimativste, schrecklichste Ort im Weltall
kann ein zahmes oder ungestümes Ereignis sein
Beispielsweise könnte Seltsame Materie normale Materie anstecken
Im Neutronenstern ist ein seltsames Gemisch, das Strangelet erzeugt
Strangelet könnten sich ansteckenderweise vermehren
und am Ende wäre das ganze Universum seltsam

Der ultimativste, schrecklichste Ort im Weltall
kann ein zahmes oder ungestümes Ereignis sein
Die Elektromagnetische Strahlung ist sehr schnell
Die Kosmische Strahlung ist eine Kosmische Energie
Viele Teilchen würden den Menschen durchbrechen
Schnell können Gammablitze unsere Atmosphäre zerfetzen
Denn das Weltall ist am Ende sehr gefährlich

PERSPEKTIVE 112/113

http://perspektive.at

perspektive 112 / 113 „Golden Spike“
Hefte für zeitgenössische Literatur

KOLUMNEN von Ariane Hassan Pour-Razavi und D. Holland-Moritz

TEXTE von Maria Babusch | Manon Bauer | Blumenleere | Tanja Brandmayr | Natalia Breininger | CRAUSS. | Dadasophin | Alexander Graeff | Gertrude Maria Grossegger | Michaela Hinterleitner | Lisa Horvath | Oskar Kabel | Julia Alina Kessel | Ralf B. korte | Judith Laister | Mariusz Lata | Raven E. Marble | Tara Meister | Anna Neuwirth | Martin Piekar | Kai Pohl | Julia Rüegger | Clemens Schittko | Susanne Schmalwieser | Stefan Schmitzer | Tibor Schneider | Tom Schulz | Karin Seidner | Annabelle Seubert | Karsten Sirach | Anna Staffel | Benedikt Steiner | Marion Steinfellner | Andy Sudermann | Silke Vogten | Johannes Witek |

REDAKTION: Ralf B. Korte und Stefan Schmitzer

AUS DEM EDITORIALgegenstand für perspektive 112 / 113: die leserin wird sich unter dem rubrum „golden spike“ einen eindruck von ihm machen können. es geht um <unsere> unsicherheit im umgang mit den speziell (sprach-) künstlerischen fortschreibungen jenes diskursrhizoms, das rund um den zunächst der geologie, dann der kulturanthropologie entstammenden begriff vom anthropozän existiert.
jenen call (vgl. s. 4) haben <wir> gemeinsam verfasst, ungefähr als dialog zweier (mit etwas mühe) weiterhin identifizierbarer stimmen. und <unsere> unsicherheit ist in ihm drei- oder vierfach präsent: zum ersten in ihren zwei individuellen ausformungen, dann, insofern die nicht ganz zusammenpassen – dies inkommensurable legte apodiktische verkürzungen nah (…), von denen <wir> hofften, sie mögen unseren autorx produktiv angriffsfläche bieten. zum dritten repräsentiert jenes wackelige <wir> wieder so einen dieser versuche, über das herrschaftliche autorx-subjekt hinauszukommen, wie es ihrer in der geschichte von perspektive
schon einige gegeben hat – ca. pro redaktionsumbildung einen, und das passt dann ja auch ganz gut zur lage.

Lyrik II

Arwed Vogel präsentiert im Lit. Radio Bayern VERDI Verband Deutscher Schriftsteller
das Minotaurus Projekt von Anna Staffel (Prosa + Musik) und Clemens Kuhnert (Lyrik)
Link:  vs bayern literaturradio

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Elch
im Vorbeigehen
die Ratte, die Ur-Ziege, der Hund
schnuppern schnuppern – wohin?

Anhimmelnde Holzplätze

Thekenholz, glatt polierte Eisstockbahnen zur beruhigten Hand geschoben. Den schwarzen Gürtel Silberschnallen bestückt auf Höhe der Theke, hält Hose- und Persönlichkeitswehmut zusammen – darüber locker das Hemd gehalten, als würden Muskeln gleich Bier zapfen, eine stützende Hand drückt die Taille in Form zur Frauenhüfte – Hand in die Taille, eher Taille zur Form geht zum Eissortiment. Hammer und Eis krachen zusammen. Die zauberhafte Eiszertrümmerin löst den Arm, die Hand. Gläser wandern zum Himmel.

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Annäherndes Gewitter Drama

Am Horizont ziseliert der schwarze Wolkengott gekochten Niederschlag. Backsteine rücken im Dorf zusammen. Die Leuchtschwerter stechen mit Gebrüll in die Gassen!

Jetzt ist noch Zeit für deine blauweiße Blechbüchse! Gleich trägt sich der Schöpfer für Licht- und Wasserstudien ein und verglüht Eisenstäbe auf den Dächern oder spaltet Holz für den Abend.
Gleich schmieden die Blitze die Kinder an ihre PLAYSTATION und verschmelzen Steckdosen zu Endgeräten. Ziehe endlich die Stecker der Welt, der schwarz zuckende Quell steht vor der zitternden Tür!
Rücke bei Sturm in das nächste Haus ein und prüfe Augen und Münder! Hilf der sturmtruppenbehelmten Nacht!
Gleich kommen die Schlammlawinen! Gleich fällt der Strom aus und du landest vom Blitz getroffen im reißenden Fluss. Doch es ist nur der Nachbar, der klopft. Er reibt dir den Busen trocken.

Foto: Anna Staffel - Important - 2013 - Collage A4

Essay: Anna Staffel – Urbane Lyrik

Gestern ging ich in die neue Buchhandlung Ocelot an der Philipp Schaeffer Bibliothek in Berlin Mitte und gleich am Anfang fand ich den Beweis (für was?).

„Hauptstadt und Provinz“ hing als Themenschild über dem ersten Bücherregal und präsentierte einige Berliner Lyriker, Schriftsteller und Krimiautoren. Darüber hinaus standen Bildbände und außergewöhnliche Reiseführer bereit. Ich überflog die Titel und dachte sofort: Das ist Urbane Lyrik!

Urbane Lyrik
Aus dem Cafe Größenwahn
Die vielen Gesichter der Nofretete
Für hier oder zum Mitnehmen
Spazieren in Berlin
Backstage Berlin
Heimliches Berlin
Der Klang der Familie
Kiez für Kiez
Deutschland verstehen
Der Club der Polnischen Versager
Das Lied vom Hackeschen Markt
Grenz- und Geisterbahnhöfe
111 Orte in Berlin die man gesehen haben muss
Geisterstadt
Anonyme Mitte
Berlin, Techno und die Wende
Berliner Kirchen und ihre Hüter
Berliner Wohnquartiere
Berlin in 3 Tagen
Berlin in 5 Tagen
Berlin in 8 Tagen
Berliner Atlas Paradoxaler Mobilität
Der Bessere Berliner
Berlin aus der Luft fotografiert
Street Art in Berlin
Joseph Roth in Berlin
Denkmale in Berlin
Südstern
Hurengespräche
Jüdisches im Grünen
Die Besten Radtouren rund um Berlin
Berlin ist zu groß für Berlin
Berlin
Die Grenze
Die Mauer
Berlin Stadtführer für Kinder
Berlin Ecke Greifswalder
Berlin Ecke Schönhauser
Berlin gibt immer den Ton an
Berlin
Bleierne Stadt
Selve made city
Forgotten Friends
Strawberry Fields
The big Design Guide
Fontanes Berlin
Kafka in Berlin
Literarisches Berlin
Hotel Adlon
Alexander Platz
Brunnenstrasse 181
Im alten Berliner Studentenviertel
Berliner Brücken
Berliner
Arbeiterbewegung in Berlin
Ganz Berlin in 7 Tagen
Mein Berlin
Die Museen in Berlin
Architektur in Berlin
Tiere in Berlin

An dieser Stelle bekam ich einen Berlin Flash und musste das Ocelot schnell verlassen. Nach einer kleinen Erfrischung im Nolas kehrte ich zurück in die Buchhandlung. Eigentlich bot das Ocelot auch Erfrischungsgetränke an, ich hätte also ruhig dort entspannen können, aber der kleine Spaziergang war nötig, denn beim Laufen schüttelten sich meine Gedanken wieder ins richtige Format.

Nach dieser Belüftungsaktion stand ich wieder vor den elegant geschwungenen Regalen und wusste was ich zuvor wollte. Ich suchte nach einem Autor und seiner ersten Deutschen Übersetzung, nach dem Norweger Tomas Espedal. Der Roman erschien bei Matthes & Seitz Berlin. Ich überflog die Lyrik und Prosaecke der exklusiven Neuerscheinungen und schon nach kurzer Zeit hielt ich den Roman in den Händen: „Gehen“ oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen“.

Ich las den Klappentext

„Ein Mann verlässt seine Frau, sein Kind, sein Haus. Er beschließt zu gehen, das Leben eines Landstreichers zu führen, und macht sich auf den Weg, der ihn zu sich selbst bringen soll. Er scheitert, trinkt, beginnt von Neuem. Den Leser nimmt er mit auf diese delirierenden, existenziellen und besessenen Reisen zu Fuß von Norwegen durch Deutschland nach Frankreich, nach Griechenland, durch ein Europa der Kunst, der Mythen, der Städte. Bestimmt vom Rhythmus harten Gehens, von der Dunkelheit der Trunkenheit und der vollständigen physischen Erschöpfung, tritt er in Dialog mit Rousseau, Rimbaud, Satie, Giacometti, Heidegger und erlebt ein Abenteuer des Denkens: Mit nichts als sich selbst, ganz auf sich zurückgeworfen, was bleibt, wer ist man?“

Ich erinnerte mich an den Text der Webseite des Verlags:

„Gehen, um zu verstehen – von der norwegischen Öffentlichkeit begeistert aufgenommen, ist Gehen ein hochkonzentrierter Text zwischen Roman, Essay und Reportage, den Paul Berf präzise und rhythmisch ins Deutsche übertragen hat.“

Als ich zu Hause ankam legte ich das Buch nicht mehr aus den Händen. Ich begriff wie Lyrik zu Prosa wurde. Nach und nach fand ich meine eigenen Worte wieder, fand meine Lyrik vermischt mit Prosa und dem Essay, fand in Tomas Espedal ein vorbildliches, zwischen den Medien kreisendes und im Zusammenhang auslotendes Autorengeheimnis. So erkannte ich ein Ereignis in Zwischenräumen, einen Schriftsteller der zwischen den Stühlen leben wollte, weil es ein sehr intensives Leben zwischen den Stühlen gab, und zwar das Wahre das sich selbst Verzehrende.

© Anna Staffel Berlin

Lyrik


O.T.
Sie stehen und wundern sich
über Staunen
Ein Lidschlag Geschichte
Asphalt
Mauer
Eingelocht die Sequenz
gekochte Heimat 

Havarie

Wenn Schiffe die Küste verheeren ist noch viel Zeit
für Küsse, noch
schmeckt die Havanna trocken
zum finalen Kreischen,
schnäbelt der Eisenschlund den Kapitän
in die Container

Da springen und fliegen sie
aus dem Labor der Zukunft

hinein in die peitschende Flut,
die verheerende Brut
schäumt Kontamination, auch
bunte Fische beobachten
die Blechlawine, hübsch
bis auf den Grund

Pflanzen.

Großartig führen sie den Himmel
vorbei an langen Tagen.
Blätter knospen Reihen in Schluchten,
es gibt kein Nichts darin
und darum verschwindet die Zeit.
Das ist schon die Rache der Materie
Deshalb spitzen die Immobilien Kaufkraft-Kraut
und Autos rollen ins Innere eines Orangenhains.
Ein Mathematik-Problem kämpft
gegen Orangen im Ast,
aber eigentlich pflanzt jeder
einmal in seinem Leben
eine Orangenplantage.